Prof. Dr. Winfried Kluth
Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

Prof. Dr. Winfried Kluth

Der Beitrag des freien
Apothekerberufs zur Qualität
der Arzneimittelversorgung

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I. Der Apotheker in der Wahrnehmung der Gesellschaft und der Rechtswissenschaft

1. Ein Blick in die Geschichte
Die über 750 Jahre alte Geschichte des Apothekerberufes ist durch ein hohes Maß an Kontinuität geprägt. Dazu gehört neben der gesetzlichen Sicherung einer hohen fachlichen Kompetenz auch die Trennung des Betätigungsfeldes von demjenigen der Ärzte.

2. Der Apotheker in der Gegenwart
Die ordnungspolitische und berufsrechtliche Debatte wurde in den letzten fünfzehn Jahren vor allem mit Bezug auf den Binnenmarkt geführt. Die wirtschaftsliberalen Forderungen nach Deregulierung konnten sich in Politik und Rechtsprechung bislang nicht durchsetzen. Das große Vertrauen der Verbraucher in den Apothekerberuf bestätigt den bestehenden berufsrechtlichen Rahmen. Als Teil eines Expertensystems sind die Apotheker auf dieses Vertrauen auch angewiesen und müssen sich um seinen Fortbestand bemühen.

II. Freiberuflichkeit als Grundlage eines Expertensystems und der gesellschaftlichen Arbeitsteilung

1. Begriff und Merkmale des Freien Berufs
Das Berufsrecht und die Berufspraxis der Apotheker sind im Vergleich mit anderen Freien Berufen am stärksten dem klassischen Leitbild der Freiberuflichkeit verpflichtet, das neben der besonderen fachlichen Qualifikation unter anderen durch die persönliche Leitungserbringung und die wirtschaftliche Selbstständigkeit geprägt ist.

2. Freiberufler als Träger eines Expertensystems
Die Bewahrung eines solchen Leitbildes ist indes kein Selbstzweck und auch nicht lediglich Ausdruck einer verbohrten strukturkonservativen Haltung. Im Gegenteil. Das Konzept der Freiberuflichkeit hängt vielmehr eng mit den Ausdifferenzierungen einer arbeitsteiligen Gesellschaft zusammen und reagiert auf deren strukturelle Anforderungen.

Expertensysteme dienen der arbeitsteiligen Bereitstellung von in der Regel wissenschaftlich generiertem Fachwissen und ermöglichen eine gesamtgesellschaftliche Nutzung der durch Wissenschaft und berufliche Expertise entwickelten Standards. Es geht demnach nicht um enzyklopädisches Buchwissen, sondern um handlungs- und entscheidungsorientiertes Wissen. Dessen Eigenart besteht darin, dass durch seine Rezeption zugleich Entscheidungen verlagert werden und sich der Einzelne auf diejenigen Bereiche konzentrieren kann, in denen er selbst über ein überdurchschnittliches Wissen verfügt. Expertensysteme dienen damit insgesamt der Effizienzsteigerung und heben die Qualität von Entscheidungen und Handlungen in allen Bereichen der Gesellschaft auf ein höheres Niveau.

3. Die spezifische Rolle des Apothekers im Gesundheitswesen
Die Aufgabe des Apothekers beschreibt § 1 der Bundes-Apothekerordnung mit den Worten:

„Der Apotheker ist berufen, die Bevölkerung ordnungsgemäß mit Arzneimitteln zu versorgen. Er dient damit der Gesundheit des einzelnen Menschen und des gesamten Volkes.“

Auf der institutionellen Ebene wird dies durch § 1 Abs. 1 des Apothekengesetzes wiederholt:

„Den Apotheken obliegt die im öffentlichen Interesse gebotene Sicherstellung einer ordnungsgemäßen Arzneimittelversorgung der Bevölkerung.“

Damit wird dem Berufsstand ein Sicherstellungsauftrag anvertraut, dessen Bedeutung vor dem Hintergrund der wachsenden Bedeutung der Arzneimittelversorgung auf Grund des demografischen Wandels in den kommenden Jahrzehnten weiter steigen wird.

III. Qualitätssicherung im und durch Berufsrecht und Berufsorganisationen

1. Hohe berufliche Qualifikation als Grundlage
Christoph Hommerich hat als Voraussetzung für die Funktionsfähigkeit von Expertensystemen vier Grundbedingungen herausgearbeitet. Danach hängt die Funktionsfähigkeit davon ab,

  • ob diese Systeme hohe Kompetenz sowie eine effektive und effiziente Funktionsweise garantieren;
  • ob sie zum Wohle der Allgemeinheit, also nicht nur zum eigenen Vorteil der jeweiligen Experten funktionieren (Gemeinwohlbezug);
  • ob diesen Systemen als funktionsfähigen Gesamtsystemen vertraut wird (Systemvertrauen) und zugleich den in ihnen handelnden einzelnen Berufsträgern (personales Vertrauen);
  • ob sich die einzelnen Experten innerhalb der jeweiligen Expertensysteme und zwischen den verschiedenen Expertensystemen Vertrauen entgegenbringen und dadurch effektive Arbeitsteilung und Kooperation sicherstellen.

2. Zur Kritik an Begriff und Konzept der Qualitätssicherung
Es ist sicher nicht übertrieben zu behaupten, dass wir in der heutigen Welt der Produkte und Dienstleistungen durch die Allgegenwart von Qualitätsversprechen und Instrumenten der Qualitätssicherung dieser zunehmend mit Überdruss und Skepsis begegnen.

Man sollte den Erwartungshorizont nicht überspannen, zumal dort, wo die persönliche Leistungserbringung komplexer Dienstleistungen im Zentrum steht.  Die grundsätzliche Bedeutung, die Maßnahmen der Qualitätssicherung im Berufsrecht zukommt, kann und darf dadurch aber nicht in Frage gestellt werden. Es muss vielmehr darum gehen, auch in dieser Frage das richtige Maß zu finden, den Qualitätsfuror in ein eher nüchternes Qualitätsparadigma zu überfügen, das man als „Qualitätsnüchternheit“ bezeichnen kann.

3. Qualitätsverantwortung und Qualitätssteuerung
Qualitätssicherung ist nicht in erster Linie eine Frage von Verfahren und Instrumenten, sondern setzt beim Bewusstsein der Qualitätsverantwortung und ihrer klaren Zuordnung an.

Im Falle des Apothekerberufs betrifft diese Verantwortung auf einer ersten Ebene der einzelnen Berufsträger, der im Rahmen seiner persönlichen Leistungserbringung für sein eigenen Handeln und die Organisation seines beruflichen Umfeldes die Qualitätsverantwortung trägt. Hinzu kommt auf einer zweiten Ebene die Verantwortung der Berufsorganisation, namentlich der Kammer, die mit Hilfe des Berufsrechts eine institutionelle und verfahrensmäßige Sicherung der Qualitätsverantwortung schuldet. Dazu gehören insbesondere die Konkretisierung der Fortbildungspflichten sowie die weiteren Instrumente der Qualitätssicherung, also Evaluation und Zertifizierung.

4. Der Beitrag des Berufsrechts
Neben der Sicherung der „Grundqualifikation“ durch die Regelung des Berufszugangs kommt dem Berufsrecht auch die Steuerungsverantwortung für die dauerhafte Sicherung des fachlichen Wissens und Könnens zu, die heute gerne durch den Grundsatz des lebenslangen Lernens zum Ausdruck gebracht wird. Wegen der zunehmend kürzeren Halbwertzeit, auch des fachlichen Wissens, kommt diesen Vorgaben eine gewachsene Bedeutung zu.

IV. Bedarf es neben dem Berufsrecht einer besonderen Berufsethik (Code of conduct)?

1. Zum Verhältnis von Berufsrecht und Berufsethik
Um die operative Bedeutung von Berufsethik sichtbar werden zu lassen, wird diese zunehmend in Verhaltenskodizes gegossen, deren Beachtung zugleich ein Gegenstand mittelbarer Rechtswirkungen ist, indem die Zugehörigkeit zu einem Verband daran anknüpft oder sonstige Privilegierungen damit verbunden werden.

2. Der Eigenwert eines Code of conduct
Die Entwicklung von Verhaltenskodizes ist derzeit noch sehr stark durch die Eigeninteressen der Verbände bestimmt, die sich davon eine Verbesserung ihrer Marktposition erhoffen. Dieses Motiv hindert zwar die Verfolgung weitergehender gemeinwohlbezogener Zwecke nicht. Es erscheint aber erforderlich, die über das Gruppeninteresse hinausgehende Perspektive zu stärken und dafür auch einen passenden gesellschaftlichen Rahmen zu schaffen. Dies ist eine genuine Aufgabe jener Verbände und Organisationen, die sich die Pflege des Leitbilds des Freien Berufs zur Aufgabe machen und der bereits bestehenden Freien Berufe selbst. Gesetzgeberisches Handeln wäre hier kontraproduktiv und die Berufskammern können entsprechende Entwicklungen auch nur dort fördern, wo es einen ausreichend breiten Konsens oder die Aufsicht auf ihn gibt.

V. Ausblick

Für die Apothekerkammer Berlin kann aus allen diesen Überlegungen ein Zweifaches abgeleitet werden: Erstens lässt sich an dem hohen Vertrauen, das die Bevölkerung in die Apothekerschaft hat, ableiten, dass der Berufsstand die ihm zugewiesenen Aufgaben erfüllt und damit auch das Berufsrecht einschließlich der Berufsaufsicht insgesamt als funktionstüchtig angesehen werden kann. Zweitens sind neue Herausforderungen an den Beruf und das Berufsrecht durchaus absehbar. Neben der Mitwirkung an einer sich weiter entwickelnden Arzneimittelversorgung unter Einbeziehung der Kostenkontrolle sind dabei die neuen und zusätzlichen Anforderungen an den Berufsstand im Rahmen des demografisches Wandels, konkret die Suche nach neuen Dienstleistungsformen für weniger mobile Menschen, zu erwähnen.

Im Bereich der nie endenden Bemühungen um Qualitätssicherung ist zugleich an die Wahrung von Qualitätsnüchternheit zu erinnern und auf den institutionellen Wert der Berufsorganisationen für die Generierung fachberuflichen Wissens in diesem Bereich zu verweisen. Dazu ermuntere ich alle Berufsträgerinnen und Berufsträger, sich ehrenamtlich in diesen Prozess einzubringen.